Grenzen unserer Vorstellungskraft

Das Vordenker-Event 2017

Der Abend für Vordenker: Jenseits der Grenzen der Vorstellungskraft

Beim „Abend für Vordenker“ diskutieren junge Führungskräfte und Top-Entscheider:innen wie Siemens-Vorstandschef Joe Kaeser und CDU-Politiker Jens Spahn darüber, wie sich die Zukunft gestalten lässt.

Einschränkungen? Gläserne Decken? Grenzen? Mit so etwas hat sich Nicola Baumann nie abgefunden. Als sie 19 war, ließ sich die Oberbayerin bei der Bundeswehr zur Kampfpilotin ausbilden – als zweite Frau in der Geschichte der Luftwaffe. Schon als Kind hatte sie davon geträumt, eines Tages in Flugzeugen die Wolkendecke zu durchbrechen.
Heute trägt Baumann den Dienstgrad Major, hat drei Jahre lang in den USA andere Militärpilot:innen ausgebildet und fliegt den Eurofighter, das modernste Flugzeug der Flotte. Aber das ist noch nicht das Ende für die 32-Jährige: Zurzeit trainiert sie dafür, dass sie 2020 als erste deutsche Astronautin zehn Tage auf der internationalen Raumstation ISS arbeiten kann. „Ich will ins All fliegen und die große Grenze der Menschheit überwinden“, sagt sie.
Für Ihren Lebensweg und ihr Engagement hat Baumann nun einen Preis erhalten. Die Jury der Vordenker-Initiative von The Boston Consulting Group (BCG) und WirtschaftsWoche kürten sie am 30. November in Berlin im Rahmen des „Abends für Vordenker“ unter dem Motto „Die Grenzen unserer Vorstellungskraft – und wie wir sie überwinden können“ zur „Vordenkerin des Jahres“. Die Kampfpilotin und angehende Astronautin hat in ihrem Leben schon mehrere technische, physische und gesellschaftliche Grenzen überwunden.
Zum „Abend für Vordenker“ hatten Carsten Kratz, Deutschlandchef von BCG, und Miriam Meckel, Herausgeberin der WirtschaftsWoche, eingeladen. Mehr als 100 ausgewählte junge Führungskräfte und Top-Entscheider:innen großer Unternehmen waren in das Berliner BCG-Büro gekommen. Dort beschäftigten sie sich bei Vorträgen, Workshops und Diskussionsrunden mit der Frage, wie sich Beschränkungen beim Denken durchbrechen lassen, um so aktiv die Zukunft zu gestalten.

„Nicht zu viel Zeit lassen“

Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzender von Siemens

Inclusive Capitalism: Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzender von Siemens, eröffnet den Abend und plädiert für eine nachhaltige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.

So fragte etwa Siemens-Vorstandschef Joe Kaeser in seiner Eröffnungsrede: „Müssen wir uns Sorgen machen?“, angesichts der steigenden gesellschaftlichen Unzufriedenheit in Deutschland. In seinem Plädoyer „Inclusive Capitalism: Plädoyer für eine nachhaltige Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung“ mahnte Kaeser, dass sich Wirtschaft und Politik nicht zu viel Zeit lassen dürften, um Antworten zu finden auf die Fragen derer, die sich hierzulande abgehängt fühlen.
„Es stehen uns Veränderungen bevor, die so gewaltig sind wie die drei vorangegangenen industriellen Revolutionen zusammen“, sagte Kaeser. Bei diesem Umbruch stünden Unternehmen besonders in der Pflicht – ihre Aufgabe sei es, Wert und Werte für die Gesellschaft zu schaffen, um eine soziale Spaltung in Arm und Reich zu verhindern. So sollten Unternehmer und Investoren nicht vergessen, dass das Schaffen und der Erhalt von Arbeitsplätzen ein Wert an sich seien.

Vielfalt und Künstliche Intelligenz

Astrid Maier, Miriam Meckel, Carsten Kratz

„Frau Dich“: Miriam Meckel (M.), Herausgeberin der WirtschaftsWoche, interviewt Carsten Kratz (r.), Deutschlandchef der Boston Consulting Group, für einen Facebook-Livestream im Workshop mit Astrid Maier (l.), Ressortleiterin Unternehmen und Innovation der WirtschaftsWoche, zum Thema Vielfalt und Innovation.

Anschließend verteilten sich die Teilnehmer:innen auf vier Workshops, um dort in kleineren Gruppen einzelne Themen zu debattieren. So leiteten BCG-Deutschlandchef Kratz und Astrid Maier, Ressortleiterin Unternehmen und Innovation der WirtschaftsWoche, eine Arbeitsgruppe zum Thema: „Frau Dich: Warum Vielfalt Innovationen steigert“. Die Teilnehmer:innen bewerteten dabei, wie bunt und innovativ ihre Unternehmen und Organisationen ihrer Meinung nach seien – mit gemischten Ergebnissen. „Wir werden in der heutigen Welt nur dann erfolgreich sein, wenn wir unterschiedliche Perspektiven einbringen“, sagte Kratz. Zwischendurch interviewte die WirtschaftsWoche-Herausgeberin Meckel die Anwesenden für einen Livestream auf Facebook.
Meckel selbst moderierte zusammen mit Martin Hecker, Senior Partner bei BCG, den Workshop „Optimiertes Ich: Wann die Software das Denken übernimmt“. Hier ging es darum, wie weit Künstliche Intelligenz (KI) eines Tages den Menschen ersetzen kann, wie sich das auf die Gesellschaft auswirken wird und welche Alleinstellungsmerkmale dabei dem Menschen eigentlich bleiben. „Entscheidend ist der Mindset“, sagte Meckel. „Schließlich nimmt KI nicht nur etwas weg, indem sie etwas wegrationalisiert, sondern sie kann den Menschen auch Freiräume eröffnen.“ Wichtig sei es in jedem Fall, dieses Thema aus Spezialist:innenkreisen in die Mitte der Gesellschaft zu tragen und dort zu diskutieren.
Um KI ging es auch bei dem Workshop mit dem Thema: „Bank-Überfall: Wie Künstliche Intelligenz den Finanzsektor umkrempelt“. Hier diskutierten Teilnehmer:innen unter der Leitung von Helene von Roeder, CEO von Credit Suisse Deutschland, sowie Mathias Entenmann, Partner bei BCG Digital Ventures, unter anderem die Frage, ob und wann sich Cryptowährungen wie Bitcoins im deutschen Alltag durchsetzen. Eine Umfrage unter den Teilnehmer:innen lieferte ein gespaltenes Bild: entweder schon in fünf bis zehn Jahren, so der Tenor im Raum – oder aber nie.
Der vierte Workshop beschäftigte sich mit dem Thema „Vorbild Wirtschaft: Wie Politik in beschleunigten Zeiten mit Unternehmen Schritt hält“. Hier ging es unter anderem darum, inwiefern die Wirtschaft Modelle für den Politikbetrieb liefern kann. Ihre praktische Erfahrung brachten dafür der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Nick sowie der Europaparlamentarier Fabio de Masi von DIE LINKE ein, während der Berliner Büroleiter der WirtschaftsWoche, Gregor Peter Schmitz, seine Perspektive als Journalist beisteuerte.

„Der Kopf fängt zu denken an“

Jens Spahn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen

Stimme der Politik: Jens Spahn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, freut sich über lebhafte Debatten.

Beim abschließenden Abendessen diskutierte das Publikum schließlich mit Roland Straub, Berater des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), über die Rolle der grenzüberschreitend agierenden EU-Institution. Jens Spahn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, wies darauf hin, wie gut es Deutschland im europäischen Vergleich gehe.
Den zunehmenden europakritischen Stimmen hierzulande konnte Spahn sogar positive Aspekte abgewinnen. Die Politik sollte sie als Aufforderung verstehen, noch besser und genauer für ein Europa ohne Grenzen zu argumentieren. Er freue sich jedenfalls über Debatten, bei denen es „richtig rund geht“. „Dann“, so Spahn passend zur Vordenker-Initiative und dem Motto „Die Grenzen der Vorstellungskraft“, „fängt der Kopf doch erst wirklich zu denken an.“ Einschränkungen, gläserne Decken und Grenzen lassen sich so überwinden – oder entstehen gar nicht erst.